Kompass 2022 – Zur Wirklichkeit der deutschen Entwicklungspolitik

Grafik Kompass 2022. Deutsche Welthungerhilfe

Am 02. Juni 2022 wurde von der Welthungerhilfe und terre des hommes der Kompass 2022 „Zur Wirklichkeit der deutschen Entwicklungspolitik“ vorgestellt. Insgesamt fünf Hauptforderungen sind hierin an die Bundesregierung formuliert:

1. Komplexe globale Krisen überwinden
Der Krieg in der Ukraine hat dramatische Folgen für die lokale Bevölkerung. Gleichzeitig verschärft er die bestehenden globalen Krisen und bedingt weitere. Für die Entwicklungspolitik und damit auch für die Bundesregierung bedeutet dies, dass sie

● auf das toxische Zusammenspiel von Kriegen, Gesundheitskatastrophen, Klimawandel und Nahrungsmittelpreissteigerungen schnell und konkret reagieren und gleichzeitig an deren strukturellen Ursachen ansetzen muss;
● trotz der Reaktion auf aktuelle Entwicklungen langanhaltende humanitäre Krisen wie die am Horn von Afrika, im Sahel, in Afghanistan, in Myanmar oder im Jemen nicht vernachlässigen darf;
● humanitäre Hilfe, Übergangshilfe und Entwicklungszusammenarbeit als Mittel der Konfliktprävention und als friedenschaffende Maßnahmen anerkennen und noch stärker miteinander verzahnen muss.

2. Entwicklungsfinanzierung an die Herausforderungen der globalen Ernährungssicherung anpassen
Neben kurzfristigen Aufstockungen und Umschichtungen in Krisenzeiten braucht Entwicklungszusammenarbeit verlässliche, flexible und langfristige finanzielle Perspektiven, um die strukturellen Ursachen von Konflikten, Armut und Hunger zu bekämpfen, Krisen vorzubeugen und Partnerschaften zwischen Nord und Süd dauerhaft zu stärken. Die Bundesregierung sollte

● die Quote von 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit (ODA), wie im Koalitionsvertrag vereinbart, als Mindestund nicht als Zielmarke festklopfen;
● ihre internationale Verpflichtung umsetzen, 0,2 Prozent des Bruttonationaleinkommens als ODA für die am wenigsten entwickelten Länder einzusetzen;
● den komplementären Förderbedarf, der gerade im Zuge der zunehmenden Krisen entsteht, berücksichtigen und mehr Ländern strukturbildende Übergangshilfe zukommen lassen.

3. Ernährungssicherheit höchste politische Priorität einräumen
In Anbetracht der sich gegenseitig verschärfenden Krisen muss die globale Ernährungssicherheit oberste politische Priorität genießen. Erreicht werden kann sie nur, wenn eine Transformation hin zu gerechten, nachhaltigen und resilienten Ernährungssystemen gelingt und dabei die ländlichen Räume in den Ländern des globalen Südens gestärkt werden. Die Bundesregierung sollte

● die Transformation der Ernährungssysteme konsequent vorantreiben;
● Kleinbäuerinnen und Kleinbauern im globalen Süden in die Lage versetzen, nachhaltig zu produzieren, und Gewerbe und Dienstleistungen in ländlichen Regionen fördern;
● die Partnerländer dabei unterstützen, entsprechende Agrarstrategien umzusetzen und regionale Märkte auszubauen.

4. Kinder in der Entwicklungspolitik priorisieren
Entwicklungspolitik muss Kinder stärken und schützen. Die Bundesregierung sollte

● stärker in Bereiche investieren, die für Kinder lebenswichtig sind und die das größte Potenzial haben, deren Situation zu verbessern;
● mehr Gewicht auf präventive Maßnahmen legen, um Kinderrechtsverletzungen an der Wurzel zu packen. Dazu zählen unter anderem die Verwirklichung des Rechts auf eine gesunde Umwelt und der Schutz von Kindern in Kriegen und Konflikten sowie vor ausbeuterischer Kinderarbeit;
● in der Entwicklungspolitik und humanitären Hilfe eine klare Strategie und ein wirksames Monitoringsystem für die Umsetzung der Kinderrechte entwickeln und eine Kindesschutz-Policy umsetzen. Die effektive Beteiligung von Kindern und Jugendlichen muss dabei einen hohen Stellenwert erhalten.

5. Den deutschen G7-Vorsitz nutzen, um globale Ernährungssicherung voranzutreiben
Die G7-Gruppe muss alles daransetzen, eine Wiederholung der Hungerkrise von 2007/08 zu vermeiden und den Hunger, wie im globalen Nachhaltigkeitsziel 2 („Zero Hunger“) gefordert, weltweit zu beenden. Die Bundesregierung sollte ihren diesjährigen G7-Vorsitz nutzen und sich auf dem Gipfeltreffen Ende Juni gemeinsam mit den G7-Partnern verpflichten,

● jährlich mindestens 14 Milliarden US-Dollar zusätzlich für die Ernährungssicherung bereitzustellen. Der Beitrag Deutschlands sollte dabei mindestens 1,4 Milliarden US-Dollar (rund 1,35 Milliarden Euro) betragen;
● Ernährungssicherung und die ländliche Entwicklung dauerhaft zu prioritären Themen ihrer Entwicklungszusammenarbeit zu erklären;
● Initiativen zur Überwindung akuter Ernährungskrisen immer auch mit Maßnahmen zur langfristigen Hungerbekämpfung zu verknüpfen. Hierfür müssen die Selbstverpflichtungen der Staatengruppe überarbeitet, die bestehenden Instrumente reformiert und die Laufzeiten der Initiativen auf mindestens zehn Jahren festgelegt werden.